Mehr Geld und mehr Wohnungen? 

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Bezahlbare und klimafreundliche Wohnungen waren im Fokus beim Wohnungsbau- Tag 2023. Das von der Ampelkoalition gesteckte Ziel für den Wohnungsbau wird auch 2023 verfehlt. Die Bauwirtschaft klagt über mangelnde Förderung. Doch die zuständige Bundesministerin Klara Geywitz sieht das anders.    

„Es steht Spitz auf Knopf. Der Wohnungsmarkt steht am Kipppunkt“, diese Warnung richtete der Wohnungsbau- Tag im April an die Politik. Das Motto lautete „Kann Deutschland noch bauen?“ Antworten darauf gaben die Wissenschaftler des schleswig-holsteinischen Wohnungs- und Bauforschungs- Instituts ARGE (Kiel). Sie legten auf dem Wohnungsbau-Tag eine aktuelle Studie vor, die sie so kommentierten: „Wenn jetzt nichts passiert, dann gibt es beim Wohnungsbau keine Talfahrt, dann erleben wir beim Neubau von Wohnungen einen regelrechten Absturz“, so Studienleiter Prof. Dietmar Walberg. Sowohl die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen in neuen Gebäuden als auch für neue Wohnungen in bestehenden Gebäuden sind gesunken. Bereits 2022 waren die Baugenehmigungen auf den tiefsten Stand seit 2018 gefallen, trotz der großen Nachfrage nach Wohnungen. „Düstere Vorzeichen“, „Baugenehmigungen stürzen ab“, „Dramatische Lage“, „Förderchaos“: Die Schlagzeilen verkündeten in diesem Frühjahr düstere Zeiten für den Hausbau. Von den 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, die sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt hat, werden 2023 wohl nur knapp 280.000 fertiggestellt, sagt Axel Gedaschko, der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) voraus. Er sieht als wichtigste Gründe die langen Genehmigungsverfahren, den Fachkräftemangel und die enorm gestiegenen Baustoffpreise: „Wir haben in vielen Bereichen Steigerungen von 60 bis 70 Prozent.“ Die Zinssteigerungen führten kombiniert mit einem Förderfiasko dazu, dass Unternehmen nur noch in der Lage seien, Wohnungen fertig zu bauen, die zwischen 15 Euro und 20 Euro netto kalt pro Quadratmeter vermietet werden könnten. Das aber können sich Mieter kaum leisten, weshalb etliche Projekte vorerst gestoppt wurden. Der befürchtete „Gau auf dem Bau“ dominierte die Diskussionen auf dem Wohnungsbautag. 

Optimistische Bauministerin 

Bundesbauministerin Klara Geywitz sieht die Lage nicht so pessimistisch. Die Lieferengpässe im vergangenen Jahr seien weitgehend behoben, es seien wieder mehr Handwerker verfügbar und gegen höhere Finanzierungskosten würden staatliche Zinsverbilligungsprogramme helfen. Die SPD-Politikerin glaubt, dass der Rückstand noch aufzuholen ist. 800.000 Wohneinheiten seien zwar genehmigt, aber eben noch nicht fertig. Und nur am teureren Geld läge es nicht. „Wir müssen mit der gleichen Anzahl an Personen auf den Baustellen mehr herstellen, sonst schaffen wir einfach es nicht, diesen Bauüberhang abzubauen“, so die Ministerin. Auch im Jahr 2021 seien bei niedrigsten Zinsen trotzdem nicht einmal 300.000 Wohnungen fertiggestellt worden. „Das heißt, wir müssen nicht nur fördern, sondern auch vereinheitlichen: serielle Vorproduktion, Digitalisierung – um dann auf diese Zahlen zu kommen, die wir brauchen.“

Gefahr vom „Gastro-Effekt“ auf dem Bau droht 

Eine „Weiter-so-Politik“ werde zum Abbau von Baukapazitäten führen, so die Warnung auf dem Wohnungsbau-Tag. Wenn der Bau jetzt aber Personal und Technik verliere, dann „läuft bald nichts mehr“. Die Baubranche stehe vor einer Zäsur: „Der Beschäftigungsabbau geht rasend schnell. Er läuft auf dem Bau sechs Mal schneller als der Personal-Aufbau. Geht der Bau jetzt in die Knie, dann dauert es also Jahrzehnte, bis er wieder auf die Beine kommt und das Niveau erreicht, das er bis heute mit Mühen aufgebaut hat: 920.000 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe“, so Studienleiter Walberg. „Die in den letzten Jahren mühsam aufgebaute Kapazität am Bau – gut 210.000 Bauarbeiter in  den letzten 13 Jahren – ist eine unschätzbar wertvolle Ressource. Die darf – auch in der Krise – nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden“, sagte Robert Feiger, IG BAU-Bundesvorsitzender Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, auf dem Wohnungsbau- Tag. „Ansonsten erleben wir den ‚Gastro-Effekt‘: Wer einmal – wie in den Pandemie-Lockdowns in der Gastronomie – geht, der ist weg. Der kommt, wenn man ihn wieder braucht, auch nicht zurück.“ Ein Einbruch beim Wohnungsbau werde nicht nur fatale Folgen für die Versorgung der Bevölkerung mit dringend benötigtem Wohnraum haben. Auch volkswirtschaftlich stehe viel auf dem Spiel: „Der Wohnungsbau ist ein starker Motor der Binnenkonjunktur – vor allem in der Krise. An der gesamten Wertschöpfungskette Wohnungsbau hängen über drei Millionen Arbeitsplätze“, so Studienleiter Walberg. 

Die Baubranche fordert weitere Förderprogramme 

Die Akteure der Bau- und Immobilienbranche forderten auf dem Wohnungsbau-Tag, dass der Staat jetzt kräftig an allen Stellschrauben drehen müsse, an denen er drehen könne, um das sich abzeichnende „Desaster auf dem Wohnungsmarkt in letzter Minute noch abzuwenden“: Neben einem entschlossenen „Milliarden-Booster bei der Förderung“ sei eine konsequente Überprüfung von Gesetzen, Verordnungen und Normen notwendig. „Es geht darum, Kostentreiber drastisch zu reduzieren und Standards zu senken“, so ARGE-Institutsleiter Walberg. Die Studie nennt konkrete Zahlen: So machen Kommunen den Quadratmeter Wohnfläche im Neubau im Schnitt um gut 170 Euro teurer. Auf das Konto des Bundes gehen mehr als 400 Euro. Der Staat drehe über eine ganze Reihe von Punkten an der Preisspirale: u.a. durch Schall- und Brandschutz, Vorgaben bei Stellplätzen, für Außenanlagen und beim Material für Gebäudefassaden. Dies führt nach Angaben der Wissenschaftler dazu, dass die aktuellen Baukosten einer Mietwohnung in Großstädten im Schnitt bei 4.070 Euro pro Quadratmeter liegen. Hinzu komme noch der Grundstückspreis, der mit durchschnittlich 900 Euro zu Buche schlage. Die aktuell von der ARGE ermittelten Kosten für den Neubau von Mietwohnungen in großen Städten liegen damit bei knapp 5.000 Euro. Diese Zahlen machen nach Angaben des „Verbändebündnisses Wohnungsbau“ eines deutlich: „Es geht darum, jetzt alle Register zu ziehen. Ohne ein drastisches Aufstocken der staatlichen Förderung ist der Wohnungsneubau in Deutschland nicht mehr machbar.“ Laut der Untersuchung der ARGE waren noch nie seit dem zweiten Weltkrieg die Bedingungen für den Wohnungsbau in Deutschland so schlecht: „Noch nie gab es gleichzeitig einen so hohen Bedarf von über 700.000 Wohnungen, so hohe Baukosten, so hohe Zinssprünge und vor allem auch so hohe Auflagen und Vorschriften für das Bauen wie heute. Der Wohnungsbau steckt in einer absoluten Ausnahmesituation“, erklärte Studienleiter Prof. Walberg. Die Baubranche forderte auf dem Wohnungsbau-Tag, die Fördertöpfe kräftig aufzufüllen. Bauministerin Klara Geywitz hingegen hält die bereits beschlossenen Milliardenprogramme für ausreichend, weil der Bund für den sozialen Wohnungsbau 14,5 Milliarden Euro bis 2026 bereitstellt. Damit unterstützt der Bund die Länder massiv. Die Bundesländer und Kommunen ergänzen diesen Betrag im Umfang von mindestens 30 Prozent der in Anspruch genommenen Bundesmittel. Im Oktober 2022 startete eine neu angelegte Bundesförderung für genossenschaftliches Wohnen. Und seit dem 1. Januar 2023 gibt es eine höhere lineare Abschreibung für Wohngebäude. Zudem soll eine Sonderabschreibung für den Mietwohnungsbau eingeführt werden. Zum 1. Juni 2023 startet zudem das Wohneigentumsprogramm für Familien“. Für zinsverbilligte Kredite stellt der Bund 350 Millionen Euro bereit. Es könne außerdem geprüft werden, wie man die Eigenkapitalbasis der Bauherren noch stärken kann, so Ministerin Geywitz. So wie SPD-Politikerin setzt auch ihr FDP-Koalitionspartner auf standardisiertes Bauen und beschleunigte Genehmigungsabläufe. Die Bundesländer sollten ihre Verfahren vereinheitlichen, fordert FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Er hofft zudem auf die Initiative privater Bauherren, denen man Investitionen in Neubauprojekte leichter machen müsse. „Und auf der anderen Seite müssen wir selbst an die Vorschriften ran, damit Bauen nicht teurer wird.“ 

Ein „Wumms“ fürs bezahlbare Wohnen 

„In der Sprache des Bundeskanzlers brauchen wir einen Wumms, um endlich alle Menschen in unserem Land mit bezahlbarem Wohnraum zu versorgen. Das werden wir nur mit gewaltigen finanziellen Anstrengungen erreichen können, die bisherige Fördersummen bei Weitem übersteigen“, so Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB). „Die Fördergelder müssen auch für die Ertüchtigung des Wohnungsbestands eingesetzt werden, denn eine heute noch bezahlbare Wohnung, die energetisch optimiert wird und bezahlbar bleibt, muss nicht mehr neu gebaut werden und steht daher viel schneller zur Verfügung. Dafür brauchen wir eine nationale Kraftanstrengung.“ 

Kosten und Klimaschutz

In Sachen Klimaschutz muss vor allem da etwas getan werden, wo er am dringendsten gebraucht wird und mit Blick auf die Kosten-Nutzen- Rechnung am effizientesten ist: im Altbau. Denn jede unsanierte Altbauwohnung ist deutlich weniger energieeffizient als eine neu gebaute Wohnung“, sagte Katharina Metzger, die Präsidentin des Bundesverband Deutscher Baustoff- Fachhandel (BDB). „Vor allem Bundesklimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) muss realisieren: Mehr Wohnungen und mehr Klimaschutz beim Wohnen passen nur dann zusammen, wenn mit Augenmaß Politik gemacht wird. Zwei „Ks“ sind ziemlich entscheidend: Kosten und Klimaschutz. Wenn die Kosten fürs Klima den Wohnungsneubau killen, ist keinem geholfen: weder den Menschen noch dem Klima.“ Beim ersten Bündnistag „Bezahlbarer Wohnraum“ im Oktober 2022 hatten die 35 Bündnispartner ein umfangreiches Paket mit rund 190 Maßnahmen für eine Bau-, Investitions- und Innovationsoffensive vorgestellt. Bau- und Wohnungswirtschaft, Baugewerkschaft und Mieterbund – allesamt Ausrichter des Wohnungsbautags – fürchten, dass im kommenden Jahr sogar weniger als 200.000 Wohnungen fertiggestellt werden, wenn die Politik nichts unternimmt, um weitere Preissteigerungen auf dem Bau zu bremsen. „Der Wohnungsmarkt ist am Ende!“, hieß es in ihrer Einladung zur Veranstaltung. Für Menschen, die dringend eine Wohnung brauchen, drohe eine Katastrophe. 

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