Die neuen Alten

von Brigitte Menge

Rainer Sturm_pixelio.de
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Sie durchqueren die Wüste, düsen mit der Harley über die Alpen, lernen chinesische Schriftzeichen, gehen online shoppen und flirten, was das Zeug hält. Die Generation 55 plus ist aktiv, lebensfroh, neugierig und genussvoll. Gerade in dieser Periode des Lebens streben viele Frauen und Männer danach, diesen Status möglichst lange zu halten. Zugleich gönnen sich immer mehr Menschen die Freiheit, sich anders zu verhalten, als dies von ihrer Altersgruppe erwartet wird. Heute kann jeder selbst entscheiden, wann und wie er alt werden will.

Doch wer sind diese „neuen Alten“ eigentlich, fragte die viel beachtete Studie „Generation Gold“ des Schweizer Gottlieb Duttweiler Instituts, die auch den Marketing-Verantwortlichen in Handel, Konsumgüterindustrie und Dienstleistungen Impulse für eine neue Sicht auf diese Generation gab. Es sind die zwischen 1946 und 1964 Geborenen, die langsam alt werden. „In ihrer Jugend haben sie Autonomie im Denken, in der Kleidung, im Musikhören und in der Sexualität erkämpft. Nun erheben sie den Anspruch, anders, besser und schöner alt zu werden als ihre Eltern“, resümiert die Studie. Das ist ein sehr aktiver Prozess, schließlich wissen wir heute, dass gerade die körperliche Verfassung darüber entscheidet, in welchem Maße wir die Früchte des Lebens genießen können. Aktive Menschen schlagen dem natürlichen Alterungsprozess ein Schnippchen. Wer sein Leben lang Sport getrieben hat, kann mit 60 Jahren noch mehr Kraft und Ausdauer haben als ein untrainierter Dreißigjähriger. Der trainierte Körper sieht nicht nur besser aus, sondern ist auch gesünder. Fitness-Studios bieten alles, was aus schlaff straff macht. Auch lange Spaziergänge, Radtouren und Walking-Runden fördern das Rundum-Wohlbefinden. Dazu gehört für viele dieser Generation aber weitaus mehr. Soziale Kontakte und ehrenamtliches Engagement sind Werte, die aktiv gelebt werden. Lebens- und Berufserfahrung weiterzugeben, sich in den Dienst einer guten Sache zu stellen und die neu gewonnene Zeit nach dem Arbeitsleben für eine gemeinnützige Aufgabenstellung zu nutzen, schafft eine kreative Zufriedenheit.

Niemand wundert sich heute, wenn sich die Herren mit den grau melierten Schläfen zum Italienischkurs in der Volkshochschule anmelden oder die Damen im reifen Alter einen Kurs belegen, in dem sie lernen, Windows 10 zu installieren und zu administrieren. Die Großeltern hören die gleiche Musik wie ihre Kinder, treiben Trend-Sportarten und sind beleidigt, wenn die Enkel sie nicht als Facebook-Freunde bestätigen. Zugegeben, dabei gibt es auch immer Extreme. Männer, die sich wehren, erwachsen zu werden, oder Frauen, die in den Kleiderschränken der Töchter räubern.

Wie bei keiner Generation vorher erleben die zwischen 1946 und 1964 Geborenen Alter als erfüllenden Lebensabschnitt. Das zeigt sich auch in den Ich-Du-Beziehungen. Es gibt spezielle Online-Kontaktbörsen für die Generation 50 plus, und für Liebesabenteuer gelten sowieso keine Altersbeschränkungen. Spätestens seit Andreas Dresens Film „Wolke 9“ haben die Kinder und Enkel begriffen, dass auch bei den „Alten“ der Spaß nicht an der Schlafzimmertür endet. „Es hat mich angeödet, dass die Gesellschaft immer älter wird, es aber nicht die dazugehörigen Bilder gibt – Liebe und Sex hören ab einem bestimmten Alter scheinbar auf zu existieren,“ so der Regisseur eines Films. Schmetterlinge fliegen auch in betagten Bäuchen. Nur: Das Wissen um die Endlichkeit des Daseins lässt ihre Flügel oft heller strahlen und jeden Augenblick des Fliegens sinnlich genießen. Man muss es nur zulassen.

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