Ein Tag, der mehr als Fußballgeschichte schrieb: Am 7. Juli 1974 endete mit einem 2:1 das Finale zwischen Deutschland und den Niederlanden im Münchener Olympiastadion. Die Tore von Paul Breitner und Gerd Müller hatten Deutschland nach einem Rückstand den WM-Sieg beschert. Dafür gab es eine ungewöhnliche Prämie.
Den Menschen in Deutschland, das sich in schwerem wirtschaftlichem und auch gesellschaftlichem Fahrwasser befand, lenkten nun Freude und Leichtigkeit von ernsten Sorgen ab: Inflation, erste ungewohnte Arbeitslosigkeit, Ermordung und Entführung von Politikern durch die „Rote Armee Fraktion“ waren neue Phänomene der gerade mal 25 Jahre alten Demokratie. Der Sieg über die Niederlande wurde jedem WM-Spieler des Ausnahmeteams, das 1972 auch die Europa-Meisterschaft gewonnen hatte, mit einer weiteren ungewöhnlichen Siegerprämie versüßt – einem VW Käfer. Der „World Cup ’74“ sollte ein weiterer Dank der Nation sein. Das 50-PS-Cabrio „1303“ hatte das Volkswagenwerk gestiftet. Und für „Käufer“ hatte VW eine geschlossene Variante des Sondermodells im Angebot. Auflage: 300 Stück. Ob Ferrari- und Porsche-Fahrer wie Paul Breitner und Wolfgang Overath ihre Käfer wirklich ausgefahren haben, scheint eher unwahrscheinlich. Der Käfer, selbst als letzte „Ausbaustufe“ des Typ`03, hatte keine Chance, Auto des Jahres zu werden. Die Wahl fiel, ausgerechnet kurz nach der Ölkrise, auf der der Mercedes 450 SE, ein nicht gerade sparsamer Achtzylinder der neuen S-Klasse, die 1972 debütierte. Ein Auto, das wie kein anderes den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg
ihrer Fahrer Erfolg signalisierte. Weniger als halb so schwer und so durstig wie die S-Klasse war der „Coup“ aus Wolfsburg. Im Frühjahr 1974 begann die Geschichte des größten Erfolgsmodells von VW, dem Golf – der hinter seinem vermeintlich rätselhaften Namen Volkstümlichkeit verbarg. Er sollte das werden, und er wird es dann auch – der legitime Nachfolger des Käfers als „klassenloses“ Massenauto. Dass er das schafft, ist zunächst nicht zu erkennen. Klar ist, dass der dramatische Abstieg von VW gebremst werden muss. Die vielen „Übungen“ der vergangenen Jahre, aus der betagten Käfer-Technik alles herauszuholen, auch in Form größerer Modelle wie dem VW 411/412, wie der Zukauf von NSU mit dem K70 haben nicht verfangen. Erst der Golf ist unter so vielen Projekten, das dann „sitzt“. 1970 begannen die Vorbereitungen, die Technik von Audi, das konsequente Design von einem jungen Italie-
ner, Giorgio Giugiaro.
Die Welt hatte sich verändert, die 70er-Jahre bringen Emanzipation, Ausbruch aus alten Korsetten, mehr Folklore, aber auch klare Sachlichkeit – gerade der Golf I in seiner Reduziertheit symbolisiert den Aufbruch, er lässt Rundungen und Opulenz hinter sich und ist ganz aufs Wesentliche konzentriert: Der Radstand entspricht dem des Käfers, der Innenraum eine ganze Nummer größer, dabei außen 50 cm kürzer – ein solches Schnellboot löst in der heutigen Zeit der automobilen Schlachtschiffe mit ihrer sinnlosen Massigkeit Sehnsucht nach Einfachheit und Klarheit aus. In die damalige funktional-futurische Ausrichtung passt geradezu auch der Citroen CX, der 1974 – nach bald drei Jahrzehnten – die „Göttin“, die DS, beerbt: Lang, flach, geduckt, strömungsgünstig, mit Lupentacho sieht der CX schon im Stand schnell aus, was er mit seinen 2,0- 2,2-Liter Vierzylindern aber nur begrenzt ist. Die Gestaltungs- und Konzeptionsqualität eines Autos schlägt sich auch in der Bauzeit nieder – erst 1989 wird der CX, den nicht zuletzt Tatort-Kommissar Schimanski bevorzugte, durch den XM beerbt.
Dass sowohl Geld und auch namhafte Designer nicht automatisch schönmachen, beweist der Rolls Royce Camargue – für ein 200.000 DM-Auto ist Altmeister Sergio Pininfarina wenig eingefallen – der Camargue ist mit seinen Überhängen und seiner schmalen Spur eine traurige Erscheinung. Mit dem Design des Golfs dagegen, der mit 8.000 DM gerade mal vier Prozent vom Kaufpreis des Rolls Royce erfordert, hat Giugiaro Altmeister Pinifarina die Schau gestohlen. So ist das auch 1974 – Sterne verglühen und neue leuchten auf: ABBA gewinnt mit „Waterloo“ den Grand-Prix, Udo Lindenberg feiert mit dem Panik-Orchester große Erfolge, Rudi Carrell startet das „Laufende Band“. Ansonsten sind noch die Nachwirkungen der Ölkrise mit ihren Sonntagsfahrverboten im Herbst 1974 virulent, auf die Autohersteller durch einfachere Modelle reagieren – dazu gehört das Downgrade des BMW Coupé mit der internen Bezeichnung E9, dass nun auch mit nur 150 PS als 2500 CS angeboten wird. Ein weiteres „Sparmodell“ war der nur 90 PS starke BMW 518, der die Modellreihe 520/525/528 nach unten ergänzte. Audi brachte mit dem Audi 50 ein Einstiegsmodell noch unter dem Golf, das dann 1975 auch als Polo parallel und ab 1979 nur noch ausschließlich als VW angeboten wurde.
Und die neue 8-Zylinder-Gemeinschaftskonstruktion der Marken Peugeot, Renault und Volvo wird um zwei Zylinder „gekürzt“. Der „Euro-6-Zylinder“ kommt im schönen Peugeot 504-Coupé und Cabrio wie auch in einem schwedischen „Panzer“, dem neuen Volvo 264, zum Einsatz. Volvo wirbt für die Sicherheit seiner Fahrzeuge mit dem Abdruck eines Sicherheitsgurtes auf dem Oberkörper einer jungen Frau. Sicherheit und Leichtigkeit – sie halten sich im Jahr 1974 die Waage. Ein Käfer Coupé taucht im Übrigen restauriert im Juni 2014 im Stadion von Borussia Mönchengladbach wieder auf – pünktlich zur WM 2014 in Brasilien – ein Glücksbringer. Deutschland gewinnt am 13. Juli zum vierten Mal die Weltmeisterschaft.
Unser Gastautor:
Peter Klotzki ist neben seinem Berufsleben seit seiner Jugend ein Liebhaber von „alten“ Autos, Experte auf diesem Gebiet, Sammler von klassischer Auto-Literatur und von etwas altem Blech sowie Mitbegründer und Vorstandsmitglied des historischen Automobilclubs Ritter von Kalebuz e. V. im ADAC Berlin-Brandenburg.